STIMMGE-

SCHICHTE

Meine persönliche Stimmgeschichte

Markante Stimmen sind allgegenwärtig und bleiben in Erinnerung

Die menschliche Stimme fasziniert mich seit meiner Jugend. Für mich unvergesslich: Im Gymnasium ließ uns eine Professorin im Deutschunterricht Tonaufnahmen bekannter Schauspieler anhören. Ich erinnere mich an die Sehnsucht erweckende Stimme Oskar Werners, oder die ausdrucksstarke Stimme Will Quadfliegs. Auch der melancholische Stimmklang des Regisseurs Axel Corti hat sich mir eingeprägt. 

Der Journalist Hugo Portisch analysierte in den Fernsehnachrichten das Weltgeschehen so anschaulich, als ob dessen Schauplatz unser Wohnzimmer sei. Und der „Opernführer“ Marcel Prawy - mit seinem fesselnden Erzählstil - verstand es, aus jeder noch so verworrenen Opernhandlung einen leicht verständlichen Krimi zu machen. Diese Faszination sollte mich nie wieder verlassen.

 

Die komplexe Physik, Anatomie und Physiologie hinter der Stimme

Während meines Studiums der Musikwissenschaften an der Universität Wien habe ich mich zunächst mit den anatomischen, physikalischen, physiologischen, phonologischen und ethnologischen Grundlagen der menschlichen Stimme beschäftigt; im Grunde viel „-logisches“. Dennoch wichtiges Basiswissen. 

Erst Jahre später - ich stand schon einige Jahre als Schauspieler auf der Bühne -, sollte ich mit meiner umfangreichen Diplomarbeit über die Stimme des Sängers und Crooners Bing Crosby mein Studium der Musikwissenschaften doch noch abschließen.


Als weiteren "fruchtbaren Umweg" habe ich eine Ausbildung zum Tontechniker absolviert. Sie brachte mich der praktischen Anwendung der menschlichen Stimme etwas näher. Ich habe mich deren Klang und  Ausdrucksmöglichkeiten von der aufnahmetechnischen Seite her angenähert und sehr schnell erkannt, ich möchte nicht derjenige sein, der das Mikrophon aufstellt, sondern derjenige, der hineinspricht. 

Stimme, ein wichtiger Teil der Persönlichkeit

Nachdem ich meine erste Musiksendung für den Kultursender Ö1 aufgenommen hatte und ich mich dazu dazu "verurteilt" hatte, meine Stimme im Radio zu hören, bin ich vor Scham im Erdboden versunken. Schlagartig wurde mir bewusst, um bei Ö1 eine stimmliche Zukunft zu haben, würde es notwendig sein, Unterricht zu nehmen: Körpersprache - tatsächlich ungemein wichtig für’s Mikrophonsprechen -, Atmung, Stimme, Sprechtechnik und wie man Geschichten erzählt. 

 

Weiterentwicklung eröffnet neue Möglichkeiten

Ich bekam eine eigene zweistündige Sendung, die jeden Freitag Vormittag live zu hören war, wurde gefragt, ob ich den Klassiktreffpunkt am Samstagvormittag moderieren möchte und sollte als Produzent der neu ins Leben gerufenen „Ö1 Klassiknacht“ nicht nur das Team leiten, sondern auch eine der Klassiknächte selbst moderieren.   

Die Folge war, dass ich jede Woche - fast täglich - Erfahrung vor dem Mikrophon sammeln konnte. Ich habe moderiert und in der Klassiknacht - meistens gegen vier Uhr früh - “heimlich“ meinem Publikum Gedichte vorgelesen. 

 

Als Radiostimme des Kultursenders Ö1 sollte ich jahrelang gefordert sein, Informationen in Geschichten zu verpacken und nicht nur stimmlich sicher, sondern unterhaltsam und lebendig zu präsentieren. 

Damals ist in mir der Wunsch entstanden, nicht nur einsam vor einem Mikrophon zu sitzen, sondern zu Menschen zu sprechen, die ich sehe und spüre.  

 

„Stimmliche Freiheit" ist auch das Resultat „Körperlicher Freiheit“

„Steh auf und nimm Dir Deinen Raum! Stell ich aufrecht hin, streck’ mal die Arme aus und zeig’ im Haus herum“, schlug mein bester Freund vor, während ich ihm auswendig eine Geschichte von Edgar Alan Poe vortrug. „Aber ich will doch nur diese Geschichte erzählen!“  Er hat es nicht gelten lassen, ich musste spielen.

Damals habe ich für meinen ersten Bühnenauftritt geprobt. Ich war zwar bereits eine routinierte körperlose Radiostimme, aber schauspielerisch ein vollkommener Laie. Ich stand vor jenem Freund, habe die Arme ausgestreckt, und plötzlich…! Dieser Moment der „Befreiung“ war jener Augenblick, in dem ich wusste, ich muss Schauspieler werden. 

 

Das hatte Konsequenzen:  Weitere Jahre der Ausbildung. Stimmtraining, Sprechtechnik, wieder Atmung und Körpersprache, Rollenstudium und schließlich mein erstes Engagement am Landestheater in Coburg. Anfang des neuen Jahrtausends war ich über zehn Jahre im Ensemble des Tiroler Landestheaters. 

 

Bis heute bin ich meinem Beruf treu geblieben, spiele unterschiedliche Menschen in unterschiedlichen Stücken an unterschiedlichen Theatern. Manchmal auch vor der Kamera. 

Am Theater ist meine Stimme noch einmal anders gefordert als vor dem Mikrophon oder vor der Kamera. Die Stimme soll in den hintersten Reihen des Zuschauerraumes hörbar sein und trotzdem entspannt funktionieren. Je entspannter, desto lebendiger, denn desto spürbarer werden die Emotionen. Und desto spürbarer die Emotionen, desto plastischer wirkt die Rolle. Professionelle Sprechtechnik ist eine der weiteren Grundlagen lebendiger Rollengestaltung. 

 

Die Stimme ist der ganze Mensch

„Magst nicht Sprechtechnik und Stimme unterrichten?“  Eines Tages hat mir Walter Sachers, der Gründer und Leiter der damaligen Innsbrucker Schauspielschule, diese Frage gestellt. Die Aufgabe hätte mich schon fasziniert. Jedoch war mir bewusst, dass ich als Lehrer für Stimme und Sprechtechnik mehr Kompetenzen benötigen würde, als nur gelernt zu haben, selbst mit der Stimme umzugehen. Trotzdem habe ich mich dieser Aufgabe gestellt. Ich habe schnell gemerkt, was mir alles fehlt, um die Verantwortung für die stimmliche Entwicklung anderer Menschen zu übernehmen. 

Deshalb habe ich mich entschlossen, eine passende Ausbildung zu suchen. Sie sollte mich befähigen, Stimme und Sprechtechnik wirklich professionell zu unterrichten. Ich wollte von den Besten der Besten lernen. Fündig wurde ich in England! 

 

Ich habe mir meinen Traum erfüllt und bin nach London übersiedelt. Genauer gesagt, North London, in die unmittelbare Nähe einer wunderschönen Parkanlage, des Hampstead Heath. Gewohnt habe ich auf sechs Quadratmetern, in einem Geräteschuppen, der als Gästezimmer umgebaut und vermietet wurde, immerhin Mitten in einem malerischen Gärtchen.  

In den intensivsten zwölf Monaten meines Lebens habe ich an der Royal Central School of Speech and Drama meine Ausbildung zum Trainer und Coach für Körpersprache, Atmung, Stimme und Sprechtechnik absolviert; meines Wissens als bis dahin einziger österreichischer Student. 

Bei der CSSD - so die Abkürzung der Schule - handelt es sich um eines der traditionsreichsten und renommiertesten Institute für Stimm-, Sprech- und Präsentationstraining im gesamten englischsprachigen Raum. Es ist Teil der University of London und somit Teil einer der weltweit führenden Universitäten. Seit über siebzig Jahren wird dort auf hohem akademischen und praxisnahen Niveau der Master-Lehrgang „Voice Studies“ für eine handverlesene Zahl an Studierenden unterrichtet. Zu unseren Lehrenden gehörte das Who is Who der englischen Stimmpädagogik. 

 

Heute ist mir meine Stimme ständige Begleiterin, ob ich unterrichte oder als Schauspieler, Sänger, Moderator oder Vortragender auf der Bühne stehe. Und was meiner Meinung nach für jeden Menschen gilt, darf ich auch für mich in Anspruch nehmen: Meine Stimme ist nicht nur mein Arbeitsinstrument. Meine Stimme ist auch „das klingende Archiv meines Lebens“.